Cheerleader: Es gibt wenig Geld, viel Druck. Teil des Teams zu sein, ist die größte Auszeichnung - WELT (2024)

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Die Fotos liegen vor der Chefin der Cheerleader und der Chefchoreografin auf dem Tisch. Knapp bekleidete junge Frauen, es sind bunte Punkte auf die Bilder geklebt. Je weniger Punkte, desto weniger Fürsprecher hat die Frau – die ein „Dallas Cowboy Cheerleader“ werden oder bleiben will. „Ihr Gesicht sieht etwas dick aus“, wird über eine gesagt, bei einer anderen: „Sie braucht ein Make-over!“. Eine ist „petite and proportionate“, also zierlich und gut proportioniert, das gefällt den Jurymitgliedern, die von den Frauen mit „Ma‘am“ anzusprechen sind.

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Tausende Frauen bewerben sich jedes Jahr wieder um einen Platz in der „Squad“, der wohl berühmtesten Cheerleadergruppe der Welt. Gut siebzig werden zur Audition geladen, darunter auch die, die der jeweils aktuellen Truppe angehören, sie müssen sich jedes Jahr neu bewerben und beweisen. Schon wer sich nur bewirbt, muss vorab Kurse belegen, einen Football-Wissenstest ablegen, den gesprungenen Spagat beherrschen. Am Ende dürfen 36 Frauen mittanzen und die Matches der Dallas Cowboys eröffnen – mit einer legendären Choreografie, zu einem legendären Song, „Thunderstruck“ von AC/DC. Dokumentarfilmer Grey Whitely hat für Netflix ein Jahr lang genau diesen Prozess begleitet: von der ersten Audition bis zum ersten, heiß ersehnten Auftritt.

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Und seine Dokumentation („Americas Sweethearts: Dallas Cowboys Cheerleaders“) erlaubt einen Einblick in eine faszinierende Welt aus Perfektion, körperlicher und finanzieller Ausbeutung (die aber keiner so wahrnehmen mag), Obsession, Überhöhung, Solidarität durch gemeinsam erlebten Druck.

Die Dallas Cowboys Cheerleaders (DCC) sind so was wie die Superstars der amerikanischen Cheerleading-Welt. Wer tanzt, wer eine Affinität zum Cheerleading hat, träumt in den USA davon, hier einmal mittanzen zu dürfen, die Uniform gilt als legendär, die Frauen als eine Art nationaler Stolz, seit 1960. Die Frauen, die dann die spektakulären und höchst anspruchsvollen und gleichzeitig durchaus ziemlich sexualisierten Choreografien auf dem Feld tanzen, üben damit eine eigene Sportart aus, die nicht weniger fordernd als die der Profisportler ist, die ihre Körper extrem belastet, ihre Hüften zerstört.

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So gehören nicht nur möglichst hohe „Kicks“ zum Repertoire, sondern auch der „Jump Split“, ein gesprungener Spagat, der dann auch im Spagat gelandet wird. Das wird unzählige Male geübt, unzählige Male vor Publikum vorgeführt, wer das mehrere Jahre mitmacht, wird nicht selten mit Mitte 20 an der Hüfte operiert, leidet unter Rückenschäden, starken Schmerzen.

Die Doku stellt etwa Ex-Cheerleader Caroline vor, sie geht an Krücken, musste schon mehrfach operiert werden. Und verdiente, wie ihre Kolleginnen, etwa zwölf US-Dollar pro Trainingsstunde mit den DCC und 400 US-Dollar pro Auftritt – was ein Jahresgehalt ergibt, das vergleichbar ist mit dem einer Kellnerin. So müssen die meisten von ihnen tagsüber in anderen Jobs arbeiten, abends trainieren sie bis mindestens 22 Uhr. Gleichzeitig macht das Unternehmen um die „Dallas Cowboys“ laut „Daily Mail“ fünf Milliarden US-Dollar Umsatz pro Jahr.

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Es gibt wenig Geld, viel Druck, aber es gibt Bewunderung, Zusammenhalt, Rampenlicht: In der Welt der Cheerleader ist es die größte Auszeichnung, Teil des Teams zu sein. Sie sind Vorbild für kleine Mädchen, Sexobjekt für viele Fans. Die verletzte Caroline, sie ist noch nicht einmal 30, befürchtet, die besten Tage ihres Lebens seien nun schon vorbei. „Rookie“ Reece, sie bewirbt sich 2023 zum ersten Mal, möchte ihrem „Schöpfer Ehre machen“, indem sie den harten Auswahlprozess besteht und will Gott ihren Körper leihen, um durch sie „zu scheinen“.

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Eine andere sagt gar, sie sei nur auf dieser Erde, um DCC zu unterstützen. Diese Aussagen haben fast sektenartigen Charakter, die DCC-Uniform wird glorifiziert, die geringe Bezahlung weggelächelt – würde man mehr verlangen, es kämen genug nach, die es für noch weniger machen würden.

Die Qualität der Doku macht aus, dass man genau dieses Paradoxon zu verstehen glaubt: Die Frauen werden beurteilt, abgeurteilt, auf Kritik dürfen sie, so eine offizielle Regel ihres Handbuchs, stets nur mit „Yes, Ma‘am“ antworten, sie dürfen, ist die Uniform einmal angepasst, nicht mehr zunehmen, über Jahre. Sie müssen auch privat immer geschminkt sein, keinen roten Lippenstift tragen, die Liste ginge noch weiter.

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Gleichzeitig erleben sie einen Traum, den, aller Political Correctness zum Trotz, fern von allen Body-Positivity-Trends auf Instagram, eben nur eine ausgewählte Gruppe an Menschen, mit bestimmten Fähigkeiten jemals erleben kann, sie werden so sehr gedrillt, dass sie etwas leisten können, was außer ihnen kaum jemand kann.

Die Bewunderung dafür schmeckt süß, man fühle sich in Uniform wie ein anderer Mensch, versuchen sie ihr Leben als DCC zu beschreiben, ein Mensch, der nichts mit dem Menschen zu tun hat, der sie eigentlich sind. Stark, schön, unnahbar, unverletzlich, perfekt.

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Und so sehr sie so wirken, die Mädchen, die Whitely intensiver begleitet, sie alle zeigen: Sie sind nicht perfekt. Sie leiden unter dem Druck, sie unterdrücken ihre Gefühle, kämpfen natürlich mit dem Gewichtsthema – und bewerben sich trotzdem jedes Jahr wieder. Für manche ist DCC die einzige Struktur im Leben, andere suchen dort nach „Sisterhood“, andere nach dem Halt, den klare Regeln und Hierarchie geben. Sie werden gesehen, aber nur, wenn sie nicht aus der Reihe tanzen, in jedem Sinne.

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